Swiss Alpine K78 -78 km durchs Hochgebirge

Репортаж Albrecht Schönbucher

 

Foto

Bericht und Fotos: Albrecht Schönbucher - - - Begleitung und Fotos: Kirsten und Luana Schehr


Foto

Seit meiner ersten Teilnahme als Staffelläufer am 20. Swiss Alpine 2005 verfestigte sich in mir der Wunsch, irgendwann den K78 zu laufen – die Königsdisziplin, den laut Veranstalter „grössten Berg-Ultramarathon der Welt“. Zum groß gefeierten 25-jährigen Jubiläum ist es nun real geworden: Vor mir liegen 78.5 km und immerhin 2´260 Höhenmeter – und das sowohl hinauf als auch wieder hinab, da Start und Ziel in Davos liegen. Dazwischen geht es in einer großen Schleife, die selbst im groben Maßstab des Autoatlasses noch gut erkennbar ist, durch herrliche Graubündner Landschaften.


Foto

Ausgerechnet wenige Tage vor dem Start muß ich mir noch eine Erkältung einfangen! Mit leicht belegten Atemwegen und einer unangenehmen Kurzatmigkeit erreiche ich am Vortag des Rennens zusammen mit meiner Frau Kirsten und meiner Tochter Luana das Basecamp in Davos; nicht gerade in euphorischer Stimmung. Jetzt auf den Lauf verzichten? Ein quälender Gedanke – aber ist der Schnupfen nicht jeden Tag ein bißchen besser geworden?


Foto

Die Fieberkurve steigt beim Betreten der Messe- und Anmeldungsräume. Kurzes Gespräch mit einem der 10 exklusiven Läufer, welche die 25. Auflage der Ultradistanz bereits zum 25. Mal in Angriff nehmen – welche Leistung! Mir selbst war bis vor kurzem schleierhaft, wie das möglich sein soll, als Normalsterblicher 78 km – und das noch in diesem Gelände – in einem Rennen an einem Tag zu bewältigen!


Foto

Erinnerungen auf einem Plakat an eine der Legenden des Swiss Alpine: Charly Doll, Landsmann aus dem Schwarzwald und zweimaliger Sieger auf der alten Strecke („nur“ 67 km, dafür etwas höher) über den Sertigpass. Dort wird er wohl für alle Zeiten Inhaber des Streckenrekords bleiben.


Foto

Pastaparty im Kreise der Familie: Ich entscheide mich als Genussläufer für ein frisch gezapftes Monsteiner – ein feines Alpenbier aus einer Davoser Umlandgemeinde, die am nächsten Tag bei Kilometer 15 zu passieren sein wird. Zu den Nudeln gönne ich mir noch ein Zehntel Malanser Pinot Noir. Ich will ja schließlich nur ankommen und nicht gewinnen!


Foto

Nach unruhiger Nacht, bedingt durch die Aufregung vor dem Lauf, fühle ich mich 30 Minuten vor dem Start deutlich besser als an den Tagen zuvor – vielleicht ist das auch schon einer ersten Adrenalin-Ausschüttung zu verdanken.


Foto

Wie angekündigt haben sich über Nacht alle Wolken verzogen. Bei kühlen Morgentemperaturen empfängt uns ein strahlend blauer Himmel. Am Straßenrand die letzten Schneehaufen – keine Zeugnisse eines sommerlichen Kälteeinbruchs, sondern Reste der Getränkekühlung vom vorabendlichen Fest in der Hauptstraße.


Foto

Kurz vor dem Start begrüßt Andrea Tuffli, Erfinder und Cheforganisator des alpinen Ultralaufs, die K78-Starter mit einem Jodler.


Foto

Mehr als 5´000 Läuferinnen und Läufer – die absolute Rekordteilnehmerzahl – wollen heute dabei sein. Die Kinderläufe im Rahmenprogramm werden dabei nicht wie anderswo mitgezählt. Alleine 1´650 haben für den K78 gemeldet, die anderen für eine der sechs übrigen, kürzeren Distanzen (dazu zählen immerhin zwei klassische Marathons über 42 km). Der Großteil der Starter wartet nun im Davoser Stadion auf den Start um 8 Uhr.


Foto

Langsam setzt sich ein endloser Bandwurm von Laufbesessenen in Bewegung – zunächst in mehreren Schlaufen durch Davos. Ich bin glücklich, daß ich mich heute punktgenau wieder fit fühle. Die Aufregung lässt endlich nach, die Vorfreude auf den großen Berglauf und die Zuversicht, ins Ziel zu kommen, steigen.


Foto

Der logistische Aufwand ist immens: alleine zwei Helis begleiten die Läuferschar den ganzen Tag. Zuvor haben sie gut 10 Tonnen Material auf die teilweise abgelegenen Verpflegungsstationen geflogen. 1´000 freiwillige Helfer verteilen sich auf die gesamte Strecke. Sicherheit wird großgeschrieben: Beim höchsten und für manche Läufer kritischen Punkt auf 2´632 Metern Höhe, der Keschhütte, wurde sogar eigens ein Feldspital eingerichtet.


Foto

Die selbstgewählte Rolle als laufender Fotograf und Berichterstatter hilft, die eigenen Ambitionen in Grenzen zu halten. Fotopausen an den vielen Panoramastellen haben stets Vorrang!


Foto

Überraschend für den K78-Novizen ist das reale Landschaftsprofil, verglichen mit dem Prospekt des Veranstalters. Ich erwarte bis Filisur auf den ersten 30 km eigentlich überwiegend flaches und leicht abfallendes Terrain. Kaum hat man jedoch Davos verlassen, warten die ersten knackigen Steigungen auf uns.


Foto

Aufgrund meiner Startposition im hinteren Feld, die sich durch verschiedene Fotopausen weiter verschlechtert, werde ich alsbald erstmals in den Gehmodus gezwungen – auf den schmalen Single-Trails gibt es oft kein Vorbeikommen. Dafür bleibt so mehr Zeit für die herrlichen Ausblicke!


Foto

Erstaunlich ist, daß sich der Bandwurm aus Läuferinnen und Läufern bis zum letzten Abschnitt der 78 km nie ganz auflöst!


Foto

Psychologisch angenehm wirken sich auf mich die nur im 5 km-Rhythmus aufgestellten Distanzschilder aus. Das Thema „Wie viele Kilometer hab ich schon und wie viele fehlen noch?“ beschäftigt einen so seltener als andernorts.


Foto


Foto

Prima Stimmung herrscht im Bergdörfchen Spina bei km 12!


Foto

Monstein, idyllisches Bergdorf mit hübscher Kirche. Noch mehr denke ich an die hochgelegene Brauerei, deren süffiges Bier ich gestern abend erstmals probierte. Doch dies muß bis heute abend ein Gedanke bleiben.


Foto

Ab Monstein geht es steil bergab – auf dem meist breiten Weg lasse ich es lustvoll laufen und bewege mich im kilometerlangen Feld langsam nach vorne. Unten passiert uns einer der vielen "Fanzüge" der Rhätischen Bahn.


Foto

Wunderbare Blicke öffnen sich in der wilden Zügenschlucht, durch welche von Davos her die Landwasser fließt.


Foto

Die Laufstrecke führt durch viele, meist kurze Tunnels. Noch bis in die 70er Jahre hinein durchquerte die Kantonsstraße Davos-Filisur hier die Zügenschlucht, heute nutzen viele Biker und Wanderer den vom Asphalt befreiten Weg.


Foto


Foto

So langsam wird es sommerlich warm. Zweieinhalb Stunden sind nun vorbei - es läuft erfreulich rund!


Foto

Ein Klassiker der Schweizer Eisenbahngeschichte: die Passage des Wiesner-Viadukts.


Foto

Nach ein paar knackigen Steigungen liegen plötzlich Filisur und das Albulatal unter uns - mit ca. 1´000 Metern über Meereshöhe steuert der Bandwurm hier den geographischen "Tiefpunkt" des Swiss Alpine an.


Foto

Fast exakt gemäß besprochenem Fahrplan (nämlich nach knapp drei Stunden und 30 km Strecke) erwartet mich meine Familie in der Nähe des Bahnhofs – es bleibt nicht viel Zeit zum Austausch, da gleich ihr Zug nach Bergün an den nächsten Treffort abfährt.


Foto

Bis hierhin lief es so locker wie erhofft. Quasi 30 km einlaufen mit deutlich mehr Gefälle als Steigungen. Doch erst hinter Filisur wird sich zeigen, ob die Lauf-Vorbereitung stimmig war.


Foto

Nach so viel Landschaft bietet das pittoreske Dorf Filisur eine willkommene Abwechslung.


Foto

Nachdem ich die ersten 30 km sehr diszipliniert und locker im angepeilten Schnitt von 6 Minuten pro km hinter mich gebracht habe, geht auf den knapp 10 km nach Bergün (hier ein Blick zurück Richtung Filisur) das Rennläuferherz mit mir durch.


Foto

Ich fühle mich so frisch, dass ich auf dem saftigen Aufstieg unentwegt LäuferInnen hinter mir lasse – nur ein einziger Läufer überholt mich auf dieser immer steiler werdenden Passage (auch das ging aus dem Prospekt so nicht hervor). Die Mehrheit geht hier in einem flotten Fußgänger-Schritt. Es gelingt mir recht leicht, im Laufschritt zu bleiben. Doch Achtung: die Strecke zwischen Filisur und dem höchsten Punkt bei der Keschhütte steigt kontinierlich um 1´600 Höhenmeter an! Gut 1´200 liegen also noch vor mir....


Foto

Ein Höhepunkt der Strecke sind die Alpe-d´Huez-ähnlichen Ovationen im schönen Dorf Bergün. Eine Steelband heizt vor dem Gemeindehaus mächtig ein!


Foto

Der Trubel hat fast etwas von einem Stadtmarathon - dabei zählt Bergün noch nicht einmal 500 Einwohner. Es scheint, als ob ausnahmslos alle bei diesem Event dabei sind, um uns Läufern und Läuferinnen den ultimativen Push hinauf in die einsame Bergwelt zu versetzen.


Foto

Pittoreske Häuser im Engadiner Stil aus dem 16. bis 18. Jahrhundert.


Foto

Stillleben am Wegesrand.


Foto

Ab Bergün beschließe ich, angesichts der bevorstehenden Steigungen zur Keschhütte, das Tempo wieder zu drosseln. Noch immer halte ich aber den Laufschritt, während die Mehrheit um mich herum nun geht. Übermut???


Foto

Der „richtige“ Lauf beginnt hinter Bergün im engen Tuorstal. Hier betrete ich - und manch andere - neue Dimensionen; immerhin hat man nun nach Kilometern bereits einen klassischen Marathon in den Beinen. Was danach folgen wird, ist mir völlig unbekannt.


Foto

Noch kann ich, zunehmend mit Mühe, einen langsamen Laufschritt halten. Doch gleich beginnt ein bis zu 25%-iger steiler Anstieg, wo die Schritte schwer werden und der Atem kurz.


Foto

Ein riesiges Lob gebührt den Veranstaltern. Gerade auch an den schwierigen Passagen werden die abgekämpften "Alpinisti" bestens versorgt. Und das variantenreicher als bei den meisten Laufveranstaltungen. Nur unter den angekündigten Alpenbrötli habe ich mir schon dicke, mit Bündnerfleisch belegte Sandwichs vorgestellt und trabe voller Vorfreude an jeden neuen Stand, um es nirgendwo im Sortiment zu entdecken - bis mir klar wird: unter dieser Bezeichnung läuft hier der Rosinenzopf.


Foto

Nach so vielen Stunden nimmt meine Lust auf salzige Verpflegung stetig zu - irgendwann folgt die endgültige Bananen-Cornyriegel-Powergel-Blockade - bitte nix Süßes mehr! Doch gerade noch rechtzeitig wird das Arrangement um warme Bouillon bereichert. Die Balance im körpereigenen Mineralienhaushalt ist wieder hergestellt! Um zur Abwechslung etwas "Festes" zu mir zu nehmen probiere ich es mit der süß-salzigen Corny-Bouillon-Mischung - nicht unbedingt kulinarischer Hochgenuss, aber situationsgerecht! Froh bin ich trotz des dichten Versorgungsnetzes um die eigene Wasserflasche, die eine regelmäßige Flüssigkeitszufuhr garantiert. Kirsten hat sie mir, mit isotonischer Mischung gefüllt, in Bergün zugereicht.


Foto

Beim Weiler Tuors Davant passieren wir die Kilometermarke 45. Das sieht teilweise eher nach einem gemütlichen Spaziergang aus als nach einem brutalen Ultralauf!


Foto

Auf knapp 1´800 Metern Höhe darf man sich eine Massage gönnen.


Foto

Chants - der letzte Weiler am oberen Ende des Val Tuors.


Foto

Letzte Impressionen aus Chants......


Foto

....danach geht es auf steilen Pfaden zur Keschhütte hoch.


Foto

Alle, ausnahmslos alle in meinem Umfeld schalten nun in den Gehmodus. Wichtig ist nun, sein eigenes, realistisches Tempo zu finden.


Foto

Mit 80 Kilo Lebendgewicht bin ich nun eindeutig im Nachteil gegenüber der Mehrheit an Bergziegen um mich herum. Es gelingt mir weitgehend, dies zu repektieren und das Tempo etwas zu drosseln. Nicht leicht fällt es mir, nach annähernd fünf Stunden Joggen in einen passenden Wanderrhythmus hinein zu finden.


Foto

Eigentlich ein erhebender Moment: 50 km und nur noch 3 km bis zum höchsten Punkt des Tages. Doch genau ab hier falle ich in eine erste längere Schwächeperiode. Etwas zu wenig Nahrung, dazu noch erfolglose Versuche, ein von meiner Familie gerade eingetrudeltes SMS zu beantworten (überall Funkloch). Plötzlich ist alle Lockerheit weg, jeder Schritt wird quälend. Die Sinnfrage kündigt sich an, lässt mich aber noch weitgehend in Ruhe.


Foto

Nicht einmal die Tatsache, daß das Profil nun wieder etwas flacher ansteigt, hilft mir. Das kurze Gespräch über meinen (im wahrsten Sinne) Spezialschuhe tragenden Noch-Hintermann muß ich wegen aufkommender Kurzatmigkeit und leichter Übelkeit bald abbrechen. Ich verliere sonst völlig den Rhythmus!


Foto

Mit dem Anblick der Keschhütte und weiterer Temporeduktion (mit Tempo hat das nun eigentlich nichts mehr zu tun) fange ich mich wieder - man braucht eben seine Ruhephasen an einem solchen Tag!


Foto

Die Leistung dieses blinden Läufers mit seinem Begleitläufer erscheint geradezu unfassbar. Ein 78 km-Rennen auf diesem Terrain ohne Augenlicht?! Der Deutsche Dietmar Beiderbeck beweist bereits zum 15. Mal, was alles möglich ist im Handicap-Sport. Im Vorbeigehen ein bewundernder, aufmunternder Zuruf, eine kurze Antwort....


Foto

....und schon stehen wir kurz vor der Keschhütte.


Foto

"Laufen bis der Arzt kommt!" Unmittelbar bei der Zwischenzeitenkontrolle erfolgt tatsächlich auch ein kurzer Gesundheitscheck. Der freundliche Renndoc prüft mit einem tiefen Blick in die Augen, ob die Fortführung des Rennens zu verantworten ist. Erwartungsgemäß überstehe ich diese Arztvisite auf 2´639 Metern über dem Meeresspiegel erfolgreich. Mit rituellem Handschlag werden wir auf die "Königsetappe", den sog. Panoramatrail entlassen.


Foto

Doch erst einmal gönne ich mir eine Pause und genieße den herrlichen Ausblick auf den Piz Kesch - mit 3´418 m der höchste Gipfel des Albulagebiets (rechts, leider etwas abgeschnitten). Auch an dieser Station liege ich über meiner zuvor kalkulierten Zwischenzeit in der Optimalvariante. Mit 6 Stunden und knapp 22 Minuten um immerhin 8 Minuten. Das zeigt mir, dass ich das Ganze bis hierher recht gut eingeteilt habe und trotz des Schwächelns im Anstieg noch sehr gut auf Kurs bin, insgesamt unter 10 Stunden zu bleiben. Denn mehr als 10 Stunden zu laufen ist nun wirklich jenseits meiner Vorstellungskraft!


Foto

Überholen zwecklos! Fortan reiht man sich bis zum nächsten Ziel, dem Scalettapass (2´606m) in meist größeren Laufgruppen ein. Das kommt mir nicht ungelegen, kann ich so doch die Akkus wieder etwas laden.


Foto

Dafür liegen 8 herrliche Kilometer hinüber zum Scalettapass vor uns. Der schmale Panoramatrail schmiegt sich an den Bergrücken, führt im dauernden Wechsel hinauf und hinab und erlaubt einem doch regelmäßig, die Berglandschaft zu bewundern. Dieser vielleicht schönste Abschnitt (zumindest an einem Sonnentag wie heute!) ist exklusiv reserviert für den K78, die Kolleginnen und Kollegen aus dem kürzeren Marathonfeld K42, die uns seit Bergün ebenfalls begleiten, müssen bis kurz vor dem Scalettapass einen Umweg in Kauf nehmen. Doch auch so herrscht dichter Verkehr: immer häufiger laufen wir nun auf ganze Gruppen von "Frühstartern" auf. Erstmals ließen die Veranstalter ca. 400 Starter bereits zwei Stunden früher auf die Strecke, damit auch langsamere Läufer das Ziel im Zeitfenster (nun 14 statt 12 Stunden) erreichen können.


Foto

Am Willen der langsameren Läufer liegt es seltener, wenn der Bandwurm wieder ins Stocken gerät. Eher daran, daß man nicht immer gleich einen geeigneten Ausweichplatz findet und es auch dauert, bis eine ganze Gruppe vorbeigezogen ist.


Foto

Ich habe nun wieder richtig Spass, obwohl Schuhe und Socken beim Durchqueren mehrerer kleiner Rinnsale ziemlich durchweicht wurden. Das Training hat sich offensichtlich ausgezahlt. Zur Frage, wie man sich auf solch einen Anlass vorbereitet: Ohne Berater und ohne Handbuch trainierte ich letztlich ab Januar für den alpinen Königslauf. Die ersten drei Monate primär auf den Freiburg-Marathon Ende März, danach kamen mehr und mehr Bergeinheiten dazu.


Foto

Insgesamt 23´000 Höhenmeter und ca. 1´200 km bewältigte ich seit Anfang April: zunehmend steile Läufe, v.a. im Schwarzwald sowie im Tessin. Mehrfach ging es von Freiburg auf den Feldberg, Schauinsland oder den Kandel – meist auch wieder laufend zurück. Einige Male kam ich auf 1´500 bis 1´700 Höhenmeter und lief bis zu 50km weit - also noch nie so weit wie bereits jetzt an diesem Tag.


Foto

Im Grunde trainierte ich immer nach dem Lustprinzip, nach einem inneren Leitfaden. So bewährte sich für das Stehvermögen die Aneinanderreihung von zwei langen Einheiten an zwei Tagen in Folge. Die Dosierung scheint trotz der leider stets inkludierten Abwärtsläufe gestimmt zu haben: jedenfalls blieb ich verschont von Wehwehchen jeglicher Art! Von Vorteil ist sicherlich meine Erfahrung von nunmehr 12 Marathons - davon immerhin ein Bergmarathon in Zermatt! Und die Kenntnis eines guten Teils der heutigen Strecke.


Foto

An einer der wenigen geeigneten Plätze in diesem schroffen Gelände erwartet uns wieder eine Versorgungsstation - natürlich per Heli eingeflogen.


Foto

Unmittelbar nach dem Überqueren des Schneefelds treffen wir wieder auf die umgeleiteten K42-KollegInnen. Kurz danach passieren wir die 60 km-Marke.


Foto

Gerade hatte man sich daran gewöhnt, wieder fast durchgängig traben zu können - da gab es nach der Wiedervereinigung beider Läufe umgehend neue Staus bis hoch auf den Scalettapass.


Foto

Dafür habe ich Zeit zurückzublicken auf einen polnischen Läuferkollegen - der einzige im Feld, den ich zwischen Panoramatrail und Ziel immer wieder sehe. Die Ergebnisliste zeigt mir später, daß Edward Dudek genau einen Platz und sieben Sekunden hinter mir platziert ist.


Foto

Die letzten Schritte bis wir den Scalettapass erreichen, den Übergang zwischen Engadin und Prättigau.


Foto

Ich fühle mich inzwischen wieder voller Energie. Noch mehr nach der kleinen Zwischenmahlzeit mit Brühe und zwei Bechern Cola. Auch nach 7 Stunden 48 Minuten ist mir nicht nach einer richtigen Pause.


Foto

Der vor uns liegende Abstieg hat mir im Vorfeld mit am meisten Respekt eingeflößt. Auf einer Distanz von lediglich 4 km sind nun 600 Höhenmeter zu verbrennen! Und das mit bereits 60 km in den Beinen. Ein Fehler, z.B. mangels muskulärer Kraft und man kann den Zieleinlauf abhaken! Ich habe mich ja bereits vor 5 Jahren als Staffelläufer hier hinuntergequält - damals war ich nach viel zu schnellem Start an der Keschhütte bereits früh erschöpft.


Foto

Dieses Mal ist es ganz anders. Wie eigentlich meistens in den Bergen bekomme ich immer mehr Lust, mich regelrecht den Berg hinunter zu stürzen. Immer die nächsten Hindernisse im Blick, immer gefaßt auf einen Ausweichschritt. Der Pfad hat meistens gerade Platz für zweispurigen Verkehr. Ich realisiere, daß ich reihenweise überhole, selbst aber nicht ein einziges Mal passiert werde.


Foto

Nach weniger als 30 Minuten bin ich unten im Dischmatal. Die ganze Strecke über Scalettapass, Dischmatal nach Davos ist eine alte Säumerroute, die "Via Valtellina". Lange bevor es Fahrstraßen gab (der benachparte Flüelapass beendete mit einer solchen die Bedeutung des Scalettapasses) führten meist private Unternehmer, die sog. Säumer, mit ihren Saumtieren Güter quer durch die Alpenwelt. Auf der "Via Valtellina", wie sich Weinfreunde unschwer vorstellen können, eben auch Wein.


Foto

Das Ziel scheint nun fast schon greifbar nahe. Und doch sind weitere 14 km bis Davos zu bewältigen - immerhin mit leichtem Gefälle (beinahe 500 Höhenmeter). Gleichwohl müssen alle an mehreren knackigen Anstiegen ihre letzten Kräfte mobilisieren. Die sanften Weidelandschaften bieten nach mehr als 20 km im schrofferen hochalpinen Terrain willkommene Abwechslung.


Foto

Ein kurzes Gespräch mit einem sympathischen Milchbauern. Ansonsten zieht es mich nun so mag(net)isch Richtung Ziel, daß ich auf diesen letzten 14 km am Ende mein mit Abstand schnellstes Rennen mache.


Foto

Ich bin permanent am überholen, vor allem an den kleinen, gemeinen Anstiegen, wo sonst kaum noch jemand rennt. Ich mache auf diesem Schlußteil nach dem Scalettapass etwa 100 Plätze im Klassement gut. Betrug mein Kilometer-Schnitt auf den ersten 30 km (ebenfalls Abwärtstendenz) noch genau 6:00 Minuten (10 km/h), laufe ich auf den abschließenden 14 km einen Schnitt von ca. 5:15, also beinahe 12 km/h. Im steil ansteigenden Abschnitt zwischen km 40 und 50 sank dieser Wert übrigens auf 11:10 (oder 5.5 km/h); von dort (kurz vor Keschhütte) bis zum Scalettapass waren es 10:15 (6km/h). Doch nun lief es wie in einem Rausch: ich hatte das Gefühl, als könnte ich trotz dieses erhöhten Tempos endlos weiterlaufen. Keine Ahnung, welch delikater Cocktail da gerade in meinem Körper gemixt wurde. Jedenfalls bin ich voller Euphorie.


Foto

Beim letzten km-Schild will ich dann doch noch einmal kurz stoppen. Fast überkommt mich etwas Wehmut, daß dieser fantastische Lauf seinem Ende entgegen geht. Das Rennen war bei aller Anstrengung ein einziger Hoch(alpiner)-Genuss - insofern legitimiert es den Start eines bekennenden Genussläufers. Grundbedingung hierfür ist und bleibt neben einiger Erfahrung und Gesundheit eine intensive Vorbereitung. So wartete ich umsonst auf Sinnfragen der ganz grundsätzlichen Art. Wie das möglich ist? Vielleicht weil beim Berglauf auf überwiegend unebenem Gelände der Geist durchgängig gefordert ist, die Sinne sich so auf den Untergrund, aber eben auch auf die ständig wechselnde Umgebung ausrichten – da bleibt keine Zeit für zermürbendes Grübeln wie bei manchem Asphalt-Abenteuer.


Foto

Etwa 2 km vor dem Ziel ist dasselbe schon zu sehen und gut zu hören. Über viele Stunden verteilt laufen Tausende von LäuferInnen ein in den Zielbereich beim Sportzentrum neben der Davoser Eishalle.


Foto

Geschafft! Im Ziel des K78. Ein unvorstellbarer Glücksmoment. Die Zeittafel zeigt 17 Uhr 44 an. Meine Nettolaufzeit beträgt 9 Stunden, 43 Minuten und 24 Sekunden. In 7´43´´ pro km oder mit 8.07 km/h habe ich mich durchs alpine Gelände bewegt. Ich belege in meiner Altersklasse Platz 70 (von 203) und werde insgesamt 495ster (von 1´235 Männern im Ziel, dazu kommen weitere 252 Frauen). Das ist nicht so wichtig und ich erfahre es auch erst eine Woche später im Urlaub. Auch, daß der Seriensieger Jonas Buud aus Schweden schier unglaubliche 5:49:11 lief!


Foto

Die Euphorie und die Freude lassen den Rest des Tages nicht mehr nach, die vielen unvergesslichen Impressionen kommen immer wieder in mir hoch. Doch erst einmal löscht ein frisch gezapftes Weißbier (bleifrei) so richtig den Durst - nach vielen Litern Wasser, Tee, süßen Isodrinks und klebrigem Cola. Das zweite Weizen dann im Sitzen - herrlich, zum ersten Mal seit dem Frühstück dürfen meine Beine eine Auszeit nehmen.


Foto

Die einen sind schon längst vom Treppchen gestiegen, die anderen erholen sich von den Strapazen bei ihren Frauen, am Getränkestand oder im Massagezelt, während viele noch stundenlang dem Ziel entgegenströmen. Für die allermeisten gilt, daß der Swiss Alpine ein grandioses Erlebnis ist - dafür gebührt dem Veranstalterteam, den unzähligen HelferInnen und allen begeisterten Menschen an der Strecke ein ganz herzliches Dankeschön!