Zermatt 2011 - Ultra auf 3100 Meter Höhe
Ein Laufbericht von Albrecht Schönbucher
Fotostory von Albrecht Schönbucher - Fotos Kirsten Schehr und Albrecht Schönbucher. Langsam wird er zu einer kleinen Tradition in meinem bescheidenen Läuferleben: der Berglauf im Monat Juli. Um die Freuden und Leiden bei einem Rennen auf 3´100 Meter Höhe geht es auf den nächsten Seiten.
8. Juli 2011: Zum 10. Mal bereitet sich das Zermatter Tal mit seinen pittoresken Stelzenhäusern auf den Hochgebirgs-Marathon vor - wohl einen der schönsten Läufe überhaupt.
Auch wegen der angenehmen autofreien Atmosphäre - vor allem aber wegen der spektakulären Landschaft passt ein solcher Anlass perfekt hierher.
Ähnlich virtuos wie die Gebirgszüge um Zermatt präsentieren sich "Die 3 Verschärften" an der Pasta-Dauerparty am Bahnhof.
Nicht nur alpine Klänge entlocken die österreichischen Blech-Akrobaten ihren Tröten. Mit dem Bedienen von gleichzeitig bis zu drei Instrumenten widerlegen sie nebenbei stimmungsvoll die These von der Unvereinbarkeit des Mannseins und dem Multitasking!
Zum 10. Jubiläumslauf hat sich der Veranstalter etwas Besonderes einfallen lassen: ein kleiner Teil der Läufer, ca. 600, "dürfen" ein bisschen weiter laufen als der grosse Rest: auf den beinahe 3´100 Meter hoch gelegenen Gornergrat. Mit etwas Glück (und einem kleinen Mailverkehr mit dem Versprechen, einen Laufbericht zu verfassen) zähle ich zu dieser auserlesenen Läuferschar.
45.5 km und fast 2´500 Höhenmeter liegen vor den Ultraläufern - und doch wirkt das bescheiden gegenüber den hier auf Stein festgehaltenen Heldentaten.
Schon in den beiden ersten Jahren führte der Hauptlauf hoch auf den Gornergrat - bei teilweise extremen Wetterbedingungen. Seither ist auf dem Riffelberg, auf 2´582 Metern Schluss.
9. Juli, 6 Uhr morgens: Noch versteckt sich das Objekt der Begierde, das Matterhorn, hinter einem dichten Schleier. Ein kräftiges Frühstück ....
...und anschliessend geht es im überfüllten Extrazug das Tal hinunter zum Start in St. Niklaus.
Das am Ende des Tals thronende Breithorn zeigt sich fast schon wieder komplett, nachdem der Vortag mit einem nachmittäglichen Schauer grau in grau geendet hat. Beste Wetteraussichten sind gemeldet für diesen Samstag.
Lockerungsübungen am Start in St. Niklaus - lediglich 1085 Meter über Meereshöhe. Vor uns liegen lange 45.5 km und 2500 Höhenmeter. Dafür gebührt der Ultra-Abteilung an diesem Jubiläumstag das Privileg, 20 Minuten vor der Elite des "einfachen" Marathons zu starten.
Gut gelaunt biegen wir gleich nach dem Start in die erste ansteigende Straße ein.
Ziel wird es sein, den lockeren Anfangsrhythmus so lange wie möglich beizubehalten. Nach meiner Premiere hier 2009 und dem Davoser K78 im vergangenen Jahr mache ich mir weniger Sorgen über die Distanz als vielmehr über die Tatsache, daß es erstmals für mich in einem Rennen bis auf über 3000 Meter Höhe gehen wird. Am Vortag mit der Bahn fühlte sich das nicht so toll an; erst eine heisse Schokolade auf dem Gornergrat brachte den Kreislauf wieder ins Gleichgewicht.
Der adrette Pierre aus Frooongreisch, dessen Röckchen in aufreizendem Kontrast zur Mundverzierung steht. Erfreulicherweise scheuen sich sogar an diesem Ultralauf einige wenige Läufer nicht vor extravaganter Garderobe!
Auch Olivier aus Neuchâtel hat Stil und wird seine Melone erfolgreich ins Ziel tragen.
Bei dezenter Sonneneinstrahlung bewegt sich der Läuferbandwurm bereits nach wenigen Kilometern auf ersten Single-Trails.
Schnelle flachere Passagen wechseln ....
... mit saftigen Steigungen.
Durch Täsch mit Frontalblick aufs Kleine Matterhorn (rechts) und das noch leicht verhangene Breithorn.
Nach einer längeren flachen Passage bewegen wir uns auf Zermatt zu.
Überqueren der Matter Vispa, die Richtung Rhone fließt....
...während die Läufer Richtung Quellgebiet laufen und nun erste richtig bergige Wege zu bewältigen haben.
Der Trail verläuft des öfteren entlang der Bahnlinie Visp-Zermatt.
Wenige Minuten vor Zermatt öffnet sich die Landschaft wieder. Noch immer fühlen sich meine Beine ganz gut an - vor zwei Jahren hatte ich mich auf dem ersten, flacheren Teil etwas übernommen - nun stimmt die Einteilung deutlich besser.
Nach gut 20 Kilometern und etwa zwei Stunden erreichen wir Zermatt.
So sehen Sieger aus: Harald Aas aus Oslo wird bereits nach 4 Stunden und 8 Sekunden auf dem Gornergrat stehen....
....und so sehen Genussläufer aus: der fotogene Pierre fliegt kurz vor mir an den begeisterten Zuschauern in Zermatt vorbei.
Zu meiner Rechten spielen sich unglaubliche Wiedersehens-Szenen ab! Ich selbst fühle mich noch immer recht gut - bin aber voller Respekt, weil das eigentliche Rennen mit den langen Anstiegen erst am Ortsausgang beginnt.
Nach mehreren Hundert Metern durch das Spalier der Zuschauer heizt uns eine fetzige Guggemusik ein.
Am Wendepunkt im oberen Teil von Zermatt zeigt sich nun auch die Mischabelgruppe mit Dom und Täschhorn - noch immer warten wir auf die Diva der örtlichen Viertausender, das Matterhorn, das sich weiter bedeckt hält.
Thomas ist einer von 34 Läuferinnen und Läufern, die noch keinen einzigen Zermatt-Marathon verpasst haben - erkennbar an einer Startnummer mit Jubiläumskerzen.
Schluss mit lustig! Nach wenigen Minuten bereits liegt Zermatt deutlich unter uns.
Immer wieder könnte man das Matterhorn sehen, wenn es sich denn endlich die Ehre gäbe....
...immerhin kann man es erahnen.
Nach ca. 6 steilen Kilometern wird es kurze Zeit etwas flacher - eine Wohltat. Wesentlich länger als vor zwei Jahren halte ich einen gleichmäßigen Laufschritt, ohne allerdings schneller zu sein als die meisten Kollegen, die bereits seit längerem gehen. Noch zahlt sich das gute Training mit Höhenmetern im fünfstelligen Bereich aus.
Auf der anderen Talseite zeigt sich endlich auch das Weisshorn, immerhin 4505 m hoch.
Seit nunmehr fast dreieinhalb Stunden laufen wir immer wieder auf das Breithorn zu.
Vor dem Hintergrund des kleinen Matterhorns zieht sich die Bahntrasse in Richtung Gornergrat hoch - genau diese quälende Passage liegt noch vor uns. Meine Erinnerungen an diese Rampe sind ziemlich schlecht!
Nach 32 km erreichen wir die Sonnenterrasse Sunnegga. Ein fantastischer Blick auf die Welt der Viertausender tut sich hier auf.
Das Rennen ist hervorragend organisiert - es mangelt an nichts. Bei den größeren Verpflegungsstationen genehmige ich mir stets eine warme Bouillon (gleicht den Salzverlust bestens aus), einen Energieriegel und als kleiner Dopinator zum Dessert einen halben Becher Cola. Wenige Minuten später spüre ich, wie es wieder aufwärts geht (nicht nur im Landschaftsprofil)!
Nach langer Zeit gehts auch mal wieder bergab - zum Leisee. Man weiß nicht recht, ob man sich darüber freuen soll - müssen diese Höhenverluste doch wieder eingefahren werden.
DIE Pflichtfotopause für den laufenden Rennreporter schlechthin! Leisee mit Zinalrothorn im Hintergrund.
Eigentlich wäre hier ja das Matterhorn zu sehen - aber wie vor zwei Jahren hält sich die launische Diva bedeckt. Und das wird sich heute leider auch nicht mehr ändern. Ein Grund mehr, zurückzukommen.
Bis Gant, ungefähr bei Kilometer 35, liegt nochmals ein steiler Pfad vor uns - immer mit schönen Ausblicken.
Kurz vor der vorläufig höchsten Stelle auf knapp 2500 m Höhe fühle ich mich deutlich schwächer, als man hier meinen mag.
Bei Gant geht es auf die andere Talseite in Richtung Riffelalp...
..und dann einige Kilometer bergab.
Pittoreske Madonna im Baum - Schutzheilige der Läufer?
Pierre kreuzt die Gornergratbahn an der Riffelalp.
Bei der Station Riffelalp auf ca. 2200 m Höhe gilt es ein letztes Mal die Muskeln zu entspannen....
...danach geht es für heute nur noch bergauf: 1000 Höhenmeter auf den kommenden 6 Kilometern sind ein echtes Pfund!
...vorbei an interessanten Fuhrwerken...
...hinauf in die Hölle! Vor zwei Jahren hatte ich einen wüsten Einbruch an diesem finalen Anstieg, dieses Mal läuft es deutlich runder.
Gegenüber die schon früh sichtbare Rampe entlang der Bahn, die noch vor uns liegt.
Hier ist nur noch flottes Wandern möglich - kein Foto kann veranschaulichen, wie dieser Anstieg quält.
Nur noch wenige Meter fehlen bis zur Riffelalp.
Die Riffelalp mit dem Zielbereich des klassischen Marathon von oben gesehen.
Nun wäre ich eigentlich im Ziel, wenn sich nicht diese Idee mit dem Jubiläumsziel am Gornergrat in meinem Kopf festgesetzt hätte. Da ich aber deutlich frischer als beim ersten Mal am Riffelberg ankomme, überdies trotz unzähliger Fotopausen sogar 10 Minuten schneller (mittlerweile liegen 5 Stunden und 15 Minuten hinter mir), bin ich nun endgültig überzeugt, daß dieser letzte Anstieg auch noch zu bewältigen sein wird.
Sofort wird es ruhiger, die Mehrheit ist ins Ziel am Riffelberg abgebogen. Irgendwie fühle ich mich unter diesen wenigen Läufern auf dem Weg zum Gornergrat viel besser. Und obwohl auf 3.5 km noch einmal annähernd 550 Höhenmeter auf uns warten, bin ich mehr mit der fantastischen Aussicht beschäftigt als mit quälenden Gedanken.
Eine letzte Verpflegungsstation am Rotenboden.
Ich bin allerdings nicht sicher, ob ich ohne fotografische Ambitionen all die Ausblicke wirklich wahrgenommen hätte - strengt doch jeder Stop und jedes Umdrehen zu diesem Zeitpunkt extrem an.
Auch Kollege Olivier befindet sich auf den letzten Metern.
Blick aus dem Zug (Kirsten, meine fotografierende Frau hat dankenswerterweise die ganze Strecke bis oben dokumentiert) auf den letzten, richtig steilen Streckenabschnitt.
Auf der anderen Seite des Gletschers das um diese Zeit verhangene Monte Rosa-Massiv.
Schneller als gedacht stehe ich vor der letzten Kilometer-Tafel: nun können es nur noch wenige Hundert Meter bis zum Ziel sein.
Das markante Hotelgebäude auf 3089 Metern Höhe liegt zum Greifen nahe.
Ganz plötzlich fängt der ganze Zug an, mich anzufeuern; irgend jemand identifiziert mich zu meiner Überraschung als Genussläufer und schreit dies recht laut heraus. Ich verkneife mir jedoch einen allzu fulminanten Endspurt für die Galerie.
Die letzten Meter fordern noch einmal alles ab....
...doch dann, nach 6 Stunden und 10 Minuten mischt sich die Erschöpfung mit einem wilden Mix aus Endorphinen und ähnlichen Glücksmachern!
Alle Finisher werden in eine schützende Alu-Decke eingehüllt....
... unterschiedslos glänzen alle in Gold!
Eine ganze Menge Meter sind auf unserem Sieger-Shirt verewigt.
Fröhlicher Reigen mit der Gugge.
Für uns reicht es noch zum sonnigen Wiedervereinigungsfoto. Wenig später wird es deutlich ungemütlicher hier oben - doch ich bin schnell genug gelaufen, um den bald darauf einsetzenden Hagelschauer glücklich zu verpassen. Ein fantastischer Lauf, perfekt organisiert, in einer einzigartigen Landschaft - die Variante Gornergrat ist ein solcher Leckerbissen, daß eine Wiederholung fast unerlässlich scheint! Ob mit oder ohne mich.
