Zermatt Marathon
Ein Laufbericht von Albrecht Schönbucher
Bericht, Fotos - aus dem Feld und ausserhalb des Laufes: Albrecht Schönbucher - Coaching, psychologische Betreuung und Fotos: Kirsten Schehr
Erfreuliche genussversprechende Merchandising-Artikel bei der Anmeldung Ankunft in St. Niklaus im Wallis am Vortag des Zermatt-Marathons 2009
Zermatt - Dreh- und Angelpunkt - nicht nur vom Marathon. So langsam wird mir bewusst, dass es nun ernst wird - morgen wird es unweigerlich brutal die Berge hoch gehen! Trotz ordentlichem Training - 3 Monate mit durchschnittlich 4 Läufen wöchentlich, auch einer Menge im Gelände - ist der Respekt sehr gross!
Fahrt mit Gornergratbahn zum Matterhorn. Die Spannung steigt parallel mit den Höhenmetern, welche zumindest die Bahn mühelos sammelt. Mich beschäftigt mehr und mehr die Frage, ob das wirklich gehen kann: 42 km und dazu fast noch 2000 Höhenmeter!? Nach elf eher flachen Marathons, davon den sehr genussorientierten Läufen im Medoc und Beaujolais, bin ich erstmals nicht so ganz sicher, ob ich am nächsten Tag auch im Ziel stehen werde.
Also: am besten erstmal akklimatisieren und einen Teil der morgigen Strecke von oben einsehen. Hier vom Gornergrat aus.
Gletscherblicke. Auf 3100 m Höhe spüre ich - frisch angekommen - eine gewisse Kurzatmigkeit; erfreulich und integrativ in Bezug auf die Flachländer, dass der Zermatt-Trail bei ca. 2600 m enden wird.
Castor und Pollux. Die berühmten Zwillinge zwischen Breithorn und Monte Rosa- Massiv; Zermatt und der Lauf sind umzingelt von einer Vielzahl von Viertausendern.
Schnee-Training. Letzte Laufübungen im Schneefeld auf dem Gornergrat - absolut lohnend, wie sich am anderen Tag noch zeigen wird!
Der Zielbereich vor der grandiosen Kulisse des Matterhorns. Positiv wird registriert, dass es zur Ziellinie tatsächlich bergab geht - die letzten 100 Meter! Das wird helfen morgen!
Es ist erwiesen, dass eine gute Aklimatisierung in der Höhe hilft - also je höher desto besser! Eine Besteigung fürs Familienalbum - nicht dass das "Stockerl" morgen dann schon abgebaut ist!
D-Day, 4. Juli, 7 Uhr 30 - Läuferzug nach St. Niklaus. Bin mit Genussläufer- Laufshirt gleich beim Frühstück in eine sympathische süddeutsche Läufergruppe integriert worden. Gemeinsam geht es an den Start; unterwegs letzte Streckeninfos, Taktik-Tips und direkte Einblicke in die unteren Passagen des Marathons.
9.15 Uhr - 10 Minuten vor dem Start der Elite.
9 Uhr 16: Alphornsound - aufmunternde schaurig-schöne Klänge aus landestypischen Instrumenten.
Die Sonne knallt immer stärker ins Genick - ein heisser Sommertag! Ein letztes Gruppenbild mit Dame......
...dann auf an die Pole Position. Optimismus dominiert! Als rennender Fotograf will man schliesslich nicht zu weit hinten starten. Um 9.37 entlädt sich die Spannung mit dem Pistolenschuss der Bürgermeisterin in die Luft - ca. 1500 Läuferinnen und Läufer stürzen sich ins Abenteuer.
Läuferwurm entlang der Matter Vispa - unmittelbar nach dem Start.
Lang gezogen steigt die Strecke an. Immerhin ca. 600 Höhenmeter stehen bis Zermatt auf der Agenda! Und da soll es nach halber Distanz ja erst richtig losgehen!
Riesiges Kompliment an die Organisation - bei grosser Hitze besteht beste Versorgung mit Getränken, Essen und Schwämmen; letztere sind bei mir am begehrtesten, da die Sonne bei geschätzten 25 Grad im Schatten (nur: wo ist der schatten?!) ohne kühlen Kopf durch regelmässige Wassergüsse zermürbend wäre.
Die fahrende Tribüne - eine weitere geniale Idee der Veranstalter. Johlende Fans und Angehörige muntern die Läuferschar auf.
Enthusiastisch bis ins Ziel scheinen auch die vielen Menschen an der Strecke; mit jedem Höhenmeter nimmt dabei der Anteil an japanischen Touristen zu. Besonderen Applaus ernten (die wenigen) Läufer mit Kameras im Anschlag.
Etwas überraschend sind die vielen deftigen Steigungen von Anfang an. Nichts mit "gemütlich bis Zermatt"!
Den grossen Genuss des Laufes - und den suchen Genussläufer natürlich allerorten - macht die fantastische Landschaft aus. Hier ein Blick aufs Weisshorn (4505m) - rechts der Laufstrecke.
Der erstmalige Anblick des morgendlich unverschleierten Matterhorns während des Laufs kündigt Zermatt an.
Zur Linken der Strecke: Der Dom (4545m), der höchste ganz in der Schweiz gelegene Berg - vor Jahren mit Freunden erklommen - und rechts davon das Täschhorn (4490m)
Einlauf am Bahnhofsplatz in Zermatt - die Hälfte liegt hinter uns. Der erste Teil hat mich mehr mitgenommen, als mir lieb ist. Die Fotopäuschen haben den Rhythmus etwas gestört. Die vier Kilometer durch Zermatt muss ich unbedingt regenerieren.
So sehn Sieger aus! Jonathan Wyatt, Weltklasse-Bergläufer und heutiger Favorit, beherrscht das Feld nach Belieben.
Wyatt mit Riesenschritten durch Zermatt.
Mit kleinem Abstand dahinter: das Verfolgerfeld. Das Vereinsmotto der Genussläufer gilt auch bei einem Berglauf: LÄCHELN STATT HECHELN!
Zusätzliche Flügel verleihen die Anfeuerungsrufe meiner fotografierenden und mich an diesem Wochenende unterstützenden Frau Kirsten . Da will man doch auf jeden Fall Haltung bewahren, auch wenns ein bisschen weh tut!
Aber auch der fetzige "Gugge-Sound" setzt Adrenalin frei!
Weiteres Kompliment an die Veranstalter für die gelungene Verkehrsregelung - Ziegen und andere Verkehrsteilnehmer werden von eifrigen Ordnern in Nebenstrassen verbannt!
Und wieder blickt das Objekt der Begierde auf die strapazierten Läufer.
Die vergleichsweise flache und erholsame Ehrenrunde durch Zermatt endet unweigerlich bei km 24. Nun beginnt der eigentliche Berglauf über Sunnegga, Grünsee, Riffelalp zum Riffelberg.
Drüben, am Fuss der Mischabelgruppe mit Dom und Täschhorn geht es steil nach oben.
Nur noch hoch!
Erleichterung kommt auf, als bereits nach einem Kilometer alle um mich herum in den Wanderschritt wechseln. Von der Übersetzung her bringt mich das schneller vorwärts als Laufen. Auch der Puls geht gleich runter. Anfangs überfällt mich noch kurz der Gedanke, ob man nun wegen Schrittfehler disqualifiziert werden könnte - aber nein, das ist ja bei den Gehern und Walkern, wenn sie in unseren Schritt verfallen. Also nehmen wir das an!
Verpflegungsstation bei Sunnegga (2262m). Jeder Posten wird nun mit grosser Freude angelaufen. Leider habe ich nur zwei Hände (in einer davon dummerweise auch noch die Kamera) - zeitraubend nehme ich so nacheinander Wasser, Cola für den Kreislauf, wenns rutscht noch ein Stück von einem Riegel zu mir. Höhepunkt für mich: Warme Bouillon, die verlorenes Salz und damit neue Kraft in den gepeinigten Körper bringt. Und als Abschluss des Boxenstops fliesst kaltes Wasser über den Kopf! Alles koscher und garantiert EPO-frei! By fair means!
Frisch gestärkt bei traumhaftem Ausblick geht es wieder in den Jogging-Modus. Die Beine sind ganz ok, wann immer die Steigung nachlässt.
Leider währt die Freude nur kurz - eine so nicht erwartete Zwischensteigung führt erstmals zu einer leichten inneren Verstimmung. Dazu der kraftraubende Foto-Akt! "Steady pace wins the race!" hab ich wo gelesen - die englische Sprache vermag so schön auszudrücken, was mir gerade nicht mehr recht gelingen mag!
Danach wird es erst richtig alpin. Hier jedoch beginnt sich mein Schneetraining vom Vortag postwendend auszuzahlen.
Die Passage in der Nähe des Grünsees, bei geschätztem km 35 (so ganz orientiert ist man zu diesem Zeitpunkt nicht immer), belebt die Sinne und macht Spass!
Und doch darf nicht unerwähnt bleiben, dass gerade in dieser Region der Laufsport im Rahmen eines Marathons zu den weniger gefährlichen Fortbewegungsarten zählt. Zermatt unterhält eigens einen Bergsteigerfriedhof - exklusiv für die vielen tragischen Opfer des Alpinismus.
Kurz vor dem Finale: Marathoni überqueren die Gornergratbahn bei der Station Riffelalp. Blick zurück auf Sunnegga (hinten rechts)
Mit leichtem Rückstand wegen zu vieler Fotopausen: der Genussläufer grüsst die Fotografin, die er nun doch schon fast zweieinhalb Stunden nicht mehr gesehen hat. Die letzten Kilometer lief es wieder erfreulich rund - mit genügend Bouillon im Magen.
Mit ausgelassener Fröhlichkeit (nur noch 3km!) vorbei an Km 39, Riffelalp.
Dass es nach km 39 ernst wird und zwar so richtig ernst, das war klar. Aber dass es so zermürbend wird, das war während des aufmunternden Sounds der Luzerner Blaskapelle noch nicht zu ahnen. Im Bild links beginnt bereits die Schlussrampe ins Ziel!
Läuferbandwurm im Schlussanstieg, entlang der Gornergratbahn. Die letzten 3km mit gut 400 Höhenmetern werden zur Qual. Mein persönlicher Tiefpunkt mit Allzeit-Minusrekord bei einem Marathon ereignet sich von km 40 auf 41: Sage und schreibe 17 Minuten für 1000 Meter benötige ich - in dieser Zeit läuft man im Flachen locker 4km weit!
Auf den letzten 2 km, berichtet mir später ein Läufer aus den Top Ten, gehen selbst versierte Bergläufer im Schritttempo. Auch die Anfeuerungsrufe aus dem Zug helfen da nur noch bedingt! Grund meines Einbruchs ist eine Überdosis Wasser beim letzten Verpflegungszelt. Der halbe Liter H2O führt augenblicklich zu grosser Übelkeit. Angesichts des herrschenden Betriebs entscheide ich mich aber fürs "aussitzen" im aufrechten Schongang. Eine neue Erfahrung: Andere Läufer gehen reihenweise an mir vorbei - und im Gehen bin ich sonst doch recht fit!
Die letzten Meter vor dem Riffelberg (2582m) - auf der schneefreien Skirampe So langsam geht es wieder aufwärts, nicht nur was die Steigungen angeht. Die Vorfreude aufs Ziel setzt sich wieder durch!
Ins Ziel gedudelt - schottische Highland-Klänge empfangen die Gipfelstürmer. Zu bewältigen ist noch eine letzte "Schikane" - nicht anders kommt es einem vor, wenn man so nah am Ziel vorbei laufen muss und nochmals auf eine Art Strafrunde geschickt wird.
So sehen Sieger aus: Strahlende Finisher am Schlusshang vor der Ziellinie.
Nach akzeptablen 5 Stunden 26 Minuten ist auf einen Schlag alles vergessen! Endorphine noch und nöcher! Man muss es erleben - dieses Gefühl. Nur dann ist es nachzuvollziehen, warum Menschen mit durchaus normaler Begabung und ebensolchem Verstand derartige Strapazen auf sich nehmen. Um es zu präzisiseren: ich selbst habe schon mehr gelitten als an diesem Lauf. Die Genussmomente waren bei weitem in der Überzahl.
Eine Minute später, standesgemäss (lächelnd nicht hechelnd) mit Medaille und blauem Finisher- T-Shirt im Zielbereich; aus Jugendschutzgründen wurde das Siegbier (eher zufällig alkoholfrei) nicht abgelichtet; aber geschmeckt hat es ausgezeichnet - nach all den süssen Isodrinks und Cokes!
Nach heisser Dusche im Zelt auf 2600m Höhe (ein weiteres Kompliment ans OK-Team!) zeigt die anschliessende Massage im Panoramaraum des Hotels nur vergleichsweise kleine Verspannungen im Laufapparat auf; selten fühlte sich der Körper so fit an nach einem Marathon, ehrlich!
Und auch so sehen Sieger aus: Jonathan Wyatt triumphiert in neuer Streckenrekordzeit von 2 Stunden 57 Minuten - eine Fabelzeit! Und geradezu unfassbar, wenn man gerade selbst mehr als 5 Stunden unterwegs war und halt doch irgendwie nach Zermatt den Anschluss an die Spitze verloren hat!
Auf der Rückfahrt nach Zermatt träumen glückliche Sieger - Jonathan Wyatt stehend, der Fotograf, nicht sichtbar, sitzend; so gerecht ist die Läuferwelt hier- von einem fantastischen und unvergesslichen Lauf......
.....und vielleicht auch schon von neuen Ausblicken (z.B. auf den 10. Juli 2010, dem Datum des nächsten Laufs am Matterhorn)